London.
Im Nachhinein wird jetzt manches klar. Diese ausdruckslosen Augen etwa, mit denen Daniel Radcliffe als Harry Potter in den letzten Teilen manchmal in die Kamera guckt. „Toll gespielt“, hat man damals gedacht. War aber gar nicht gespielt. War Restalkohol im Blut, wie der heute 24-Jährige in einem Interview mit dem Sender Sky Arts jetzt erzählt hat. Hackevoll in Hogwarts.
Vielleicht schlägt das so hohe Wellen, weil man sich das irgendwie nicht vorstellen kann. Schließlich ist Radcliffe gerade elf Jahre alt, als er zum ersten Mal den Zauberstab schwingt und binnen Wochen weltberühmt wird. Ein alkoholfreies Butterbier traut man ihm vielleicht zu, mehr aber auch nicht. Mehr ist es damals auch nicht. Aber irgendwann wird aus dem süßen, kleinen Jungen ein junger Mann.
Mit dem Alter kommen die Sorgen. Und je näher das Ende der Filmreihe rückt, desto größer werden sie. „Was passiert, wenn all diese Leute plötzlich sagen, dass meine Karriere vorbei ist?“, fragt sich Radcliffe und sieht sich bereits auf den „Was-macht-eigentlich“-Seiten von Zeitschriften auftauchen. Er habe zu Alkohol gegriffen, um mit Erfolgsdruck und Versagensängsten fertig zu werden, sagt er in dem Interview.
Da bleibt es nicht bei einem Drink am Abend. Es sind so viele, dass die Auswirkungen noch am nächsten Tag zu spüren sind. „Ich ging zu Dreharbeiten und war noch immer betrunken“, erinnert sich Radcliffe.
Nicht nur das. Offenbar ist der Schauspieler oft so angetrunken, dass er seine guten Manieren vergisst. „Ich lebte in ständiger Angst davor, wen ich treffen könnte, was ich sagen würde, was ich tun würde, also blieb ich einfach tagelang in meinem Zimmer und trank allein. Mit 20 Jahren war ich ein Einsiedler.“
Gebracht haben die hochprozentigen Getränke nichts. „Es wäre besser gewesen, ich hätte nicht getrunken“, sagt Radcliffe. „Es hat mich nicht so glücklich gemacht, wie ich es wollte.“ Deshalb hat er dem Alkohol abgeschworen, lebt nach eigenen Angaben seit 2010 völlig abstinent. Ganz einfach fällt ihm das offenbar nicht. „Ich wäre schon gerne jemand, der viel feiert und ein paar Drinks zu sich nimmt, aber das funktioniert nicht“, hat er schon vor einiger Zeit in der Zeitschrift „GQ“ erklärt. „Jetzt bleibe ich lieber zu Hause und lese oder unterhalte mich mit jemandem, der mich zum Lachen bringt.“
Die Angst, für immer und ewig auf das zaubernde Waisenkind Harry Potter reduziert zu werden, ist mittlerweile anscheinend überwunden. Auch weil Radcliffe bei der Wahl seiner Rollen in den letzten Jahren alles getan hat, seiner Rolle zu entkommen. Einen jungen Anwalt, der das dunkle Geheimnis eines Spukhauses lüftet, hat er in dem Film „Die Frau Schwarz“ gespielt und für „Kill Your Darlings“ ist er in die Rolle des schwulen Dichters Allen Ginsberg geschlüpft. Kommerziell ist das alles nicht annähernd so erfolgreich wie die Verfilmung der Joanne K. Rowling-Bücher, aber Geld ist bei einem geschätzten Vermögen von über 60 Millionen Euro, nicht mehr so wichtig. Wichtig ist etwas anderes. „Die Leute rufen jetzt nicht mehr Harry Potter, wenn sie mich sehen“, freut er sich. „Sie scheinen sogar meinen Namen zu kennen. Das ist wunderbar.“