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Haniel und Xella kennen doch die Spuren der Bröselsteine

Haniel und Xella kennen doch die Spuren der Bröselsteine

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Foto: WAZ FotoPool
Der WAZ-Mediengruppe liegen interne Listen über Haftpflichtschäden der Firmen Haniel und Xella vor. Sie werfen ein neues Licht auf den Baustoffskandal. Denn sie belegen: Viele Lieferwege der Bröselsteine sind nachvollziehbar. Haniel hat das bisher bestritten.

Duisburg/Ruhrgebiet. 

Bröselstein-Hersteller Haniel hat in dem Baustoffskandal um fehlerhafte Kalksandsteine offenbar mehr Aufklärungsmöglichkeiten, als er zugibt. Der Konzern, der die Risikosteine trotz bekannter Mängel und Risiken neun Jahre lang in Umlauf brachte, behauptet: „Uns liegen keine Informationen zu damaligen Lieferströmen vor.“ Der WAZ-Mediengruppe liegen solche Informationen vor: Listen des Rechtsnachfolgers Xella. Seitenlange Listen. Sie geben dezidiert Auskunft über vieles, was nicht bekannt sein soll.

Über die Herkunft der Bröselsteine. Über Baustoffhändler, an die sie gingen und die sie weiter verkauften. Über Bauunternehmer, die sie abnahmen und einmauerten. Über die Bauherren, die den Steinen vertrauten. Über den Lieferzeitpunkt, die Daten der ersten Schadensmeldung und die Meldung an die Versicherung. Über die von Haniel und Xella anerkannte Leistung, die geltend gemachte Schadenshöhe und den Aufwand für Haniel und Xella.

Auch Altenwohnheim betroffen von schadhaften Steinen betroffen

Rund 60 Produkthaftpflichtschäden sind in den Listen, die der WAZ-Mediengruppe vorliegen, genau dokumentiert. Die schadhaften Steine stammten allesamt aus den Kohlekraftwerken Kalscheuren, Ratingen und Issum. Dort mischte Haniel billigen Industriemüll als Kalkersatz bei, sparte so an Kosten und Sicherheit. Sachverständige Warnungen vor den Risiken der Steine wurden ignoriert. Ausgeliefert wurden die Bröselsteine zwischen 1987 und 1996. Die ersten auf der Liste bröckelten 1991, die letzten im Jahre 2005. Xella räumt bisher 382 von Steinfraß befallene Häuser ein.

Die Listen belegen, dass der Steinfraß nicht nur an privaten Objekten nagte. Auch in öffentlichen Einrichtungen bröckelte bereits das Mauerwerk – und zwar in äußerst sensiblen Bereichen. Im Evangelischen Altenwohnheim in Neukirchen-Vluyn tauchten ebenso Bröselstein-Schäden auf wie im Domizil des Türkisch-Islamischen Kulturvereins in Viersen. Und für das Schwimmbad der Stadt Kaldenkirchen, einen beliebten und gut besuchten Familientreff, existieren drei Schadensnummern. Die jeweiligen Sanierungen sind gelaufen.

Risiko-Kataster ist möglich

Die Listen legen nahe, dass der Weg ungezählter Steine für Haniel nachvollziehbar erscheint. Viele Schadensfälle führen zu ein und demselben Baustoffhändler, der entsprechende Lieferungen bekommen haben muss. Dem nahm dann oft ein Bauunternehmer größere Mengen ab. Mit diesen wurden später nicht nur einzelne Objekte, sondern oft ganze Straßen und Siedlungen hochgezogen. Dieser Weg der Steine ließe eine Art Risiko-Kataster zu – eine Karte, auf der die Verbreitung der Bröselsteine anhand der bisher bekannten Schadensfälle anschaulich würde. Das wäre eine konkrete Handlungsgrundlage, auf der Haniel aktiv werden könnte: Wo sich Steinfraß-Fälle häufen, wären Bürger vorgewarnt. Sachverständige könnten potenziell betroffene Objekte untersuchen. Bewohner bekämen Gewissheit – so oder so. All das findet heute nicht statt. Es gibt keine offensive Aufklärung.

BröselsteineSchadensverdachtsfälle, die bekannt werden, schaut sich Xella an. Haniel reguliert sie, falls Bröselsteine die erwiesene Ursache sind. Eine rechtliche Schadensersatzpflicht sieht der Hersteller nicht. Alles geschehe „auf dem Boden der Kulanz“. Am 31. Dezember 2011 verjähren die Schadensersatzansprüche.

„Die Bauzeit würde passen …“

Die Uhr läuft, die Nerven liegen blank. „Die große Sorge, dass mein Haus auch betroffen ist“, sie ist allgegenwärtig an den Telefonen der WAZ-Mediengruppe. An die 150 Anrufer kamen bis gestern durch. Sie wohnen in Kalksandstein-Häusern an der holländischen Grenze und im Weserbergland, an Rhein und Ruhr, im Münsterland und im Sauerland. Und sie haben Angst vor dem, was vielleicht auch hinter ihrer Tapete schlummert. Was sie noch nicht sehen können oder übersehen haben? „Die Bauzeit würde passen“, sagen viele, deren Häuser aus den 1980er- und 90er-Jahren stammen.