Das Werk des Künstlers Balthus gilt als problematisch bis pädophil. In Essen wollte das Museum Folkwang seine fragwürdigen Polaroids des Mädchens Anna zeigen. „Die Zeit“ berichtete in der Pädophilie-Debatte über die geplante Ausstellung, dann warnte auch das Jugendamt.
Essen.
Das Museum Folkwang hat die für April geplante Balthus-Schau kurzfristig abgesagt, weil es juristische Konsequenzen fürchtete. Gezeigt werden sollte das Alterswerk des umstrittenen Künstlers: Fotos eines Mädchens in teils zweideutigen Posen. Balthus habe die Sexualisierung des Kindes betrieben, schrieb die Wochenzeitung „Die Zeit“ im Dezember 2013. Dennoch würden die Bilder öffentlich gemacht: „Ein staatlich finanziertes Museum, das Folkwang, gibt sich dafür her.“
Zu den Motiven des Museums heißt es in dem Artikel: „Vielleicht wittert man den Skandal und will davon profitieren. Vielleicht will man verdienen am allgemeinen Voyeurismus.“ Vorwürfe, zu denen das Haus jede Antwort schuldig blieb. Dabei dürfte Museums-Chef Tobia Bezzola, der die Schau selbst kuratieren wollte, die Debatte um Balthus geläufig gewesen sein: Erst 2013 hatte das Metropolitan Museum in New York Balthus ausgestellt und einen heftigen Streit über die Grenzen der Kunstfreiheit ausgelöst.
Darstellungen der achtjährigen Anna „nicht mehr im Toleranzbereich
Dabei waren im Metropolitan lediglich Balthus’ Gemälde zu sehen. Einer New Yorker Galerie blieb es vorbehalten, die fragwürdigen Polaroids zu zeigen, die der betagte Maler von Anna Wahli machte, die ihm schon mit acht Jahren Modell saß – oft kaum oder nicht bekleidet. Der Steidl-Verlag hat diese Bilder, die zu Balthus’ Lebzeiten unveröffentlicht blieben, in einem Fotoband zusammengefasst. Dass es sich bei den Polaroids um Kunst handelt, mochte Gerhard Steidl in der „Zeit“ nicht beschwören: „Da kann schon der Verdacht aufkommen, dass sich da ein Greis einfach aufgeilen wollte.“
Wer das Alterswerk von Balthasar Kłossowski de Rola (Balthus) ausstellt, setzt sich zwangsläufig dem Verdacht aus, mehr auf das voyeuristische als auf das künstlerische Interesse der Besucher zu setzen.
Dass die nun erwachsene Anna Wahli der Veröffentlichung der fragwürdigen Polaroids zustimmte, reicht jedenfalls nicht. Man hätte erwarten dürfen, dass es im Museum Folkwang mehr Sensibilität für das Thema gibt: Stand doch der Vorsitzende des Museumsvereins, Achim Middelschulte, viele Jahre dem Essener Kinderschutzbund vor.
Museums-Chef Tobia Bezzola aber brauchte erst den Pädophilie-Vorwurf der „Zeit“, um Problembewusstsein zu entwickeln und mögliche juristische Folgen zu erfragen. Als das Jugendamt dann warnte, versuchte man, die Schau unauffällig zu begraben. Die Frage aber, ob man vom erwartbaren Skandal profitieren wollte und den pädophilen Charakter einiger Motive billigend in Kauf nahm, muss beantwortet werden. Christina Wandt
Zu einem ähnlichen Urteil kam dann offenbar das Essener Jugendamt. Offiziell sagt der stellvertretende Amtsleiter Ulrich Engelen zu der Prüfung nur: „Wir sind keine Kunstexperten, aber wir prüfen regelmäßig auch künstlerische Arbeiten im Hinblick auf den Jugendschutz.“ Etwa wenn ein Theater sich vergewissere sich, ob es okay sei, wenn ein minderjähriger Statist in einem Stück mit Nacktszenen auftritt. Das Jugendamt schaue hier auf Aspekte wie Gewaltverherrlichung, sexuelle Ausbeutung oder Kinderpornographie; all das könne selbstredend auch im Fall eines Kunstwerks „strafrechtlich relevant“ sein.
Als Dienstleistung bezeichnet Engelen die Prüfungen; Folkwang aber griff auf diesen Service offenbar erst nach dem kritischen Zeit-Artikel zurück. Und das Amt urteilte, die Darstellung der achtjährigen Anna, liege „nicht mehr im Toleranzbereich“. Man hätte diese Einschätzung ja zurückweisen können, etwa mit Verweis auf Ernst Ludwig Kirchner oder Paul Gauguin, die auch Mädchen als Objekte der Begierde zeigten – und trotzdem zum Kanon des Ausstellungsbetriebs gehören.
Heikles Thema klammheimlich begraben
Die Folkwang-Verantwortlichen begruben das heikle Thema lieber klammheimlich, nahmen die Balthus-Ankündigung von ihrer Homepage und sagten die Schau auf der Jahrespressekonferenz vor zehn Tagen nebenbei ab.
Erst am Montag beantwortete man unsere Anfrage: „Von der Museumsleitung initiierte Vorgespräche mit verschiedenen interessierten Kreisen und Instanzen haben ergeben, dass die geplante Ausstellung ,Balthus. Die letzten Bilder’ zu ungewollten juristischen Konsequenzen und einer Schließung der Ausstellung führen könnte. Eine solche Entwicklung auf Basis der bestehenden Rechtslage wäre nicht im Sinne des künstlerischen Interesses des Projekts, und widerspräche dem Auftrag und der Verantwortung des Museum Folkwang.“ Eine späte Einsicht.